Dienstag, 9. Mai 2017

Kindheit – Orte der Glückseligkeit


Die Eichen in der Ähl in Siegen sind noch immer da, wecken Erinnerungen an so viele Begebenheiten. Am 25. April war übrigens "Tag des Baumes". (Fotos/ Repros: presseweller)


Heimat im Kopf/ Oft ist es heute noch so ähnlich wie bei uns früher in den 1950er-Jahren


Georg Hainer

Vielen bereitet es eine gute Portion Freude, hin und wieder einmal an ihre eigenen Kindertage zurückzudenken, vor allem, wenn man Wohnort, Straße und Wohnhaus wiedersieht, wo man die Kinderzeit oder einen Teil davon verbracht hat, umsorgt aufgewachsen ist und mit Freunden und Nachbarskindern gespielt hat. Für mich ist es Siegen, für andere vielleicht eine Großstadt oder für wieder andere ein heimeliges Dorf. Ist es heute auch seltener als früher, so leben doch manche noch genau dort, wo sie mit den Eltern ihre Kindheit verbracht haben: Heimat. Wenn wir uns auch in den alten Zeiten nicht verfangen dürfen, weil nun schließlich wieder eine andere von vielen Veränderungen geprägte Zeitspanne ist, in der wir allein oder vielleicht mit eigenen Kindern und/ oder Enkeln leben, so ist es doch stets schön, für mehr als einen Moment innehalten zu können, Erinnerungen ihren Lauf zu lassen und Zeit und Orten der gefühlten Glückseligkeit Raum zu geben.

Nun meint es unser Gedächtnis recht gut mit uns, weil es oft Unschönes verdrängt, das Angenehme, manchmal auch etwas rosarot verfärbt, in den Vordergrund rückt und unser Nachdenken „Weißt du noch?“ erhellt. Das ist hilfreich, wenn wir auch nicht davon verschont sind, dass die eine oder alte „Wunde aufreißt“ und das Erinnern einmal nachdenklich werden lässt. Alle tieferen Rückblicke sind kleine Pausen, in denen wir der seit den 2000er-Jahren ständig noch zunehmendem Schnelllebigkeit zwar nicht davonlaufen, aber ihr doch phasenweise entfliehen können.

Enkel regen an

In der Nachbarschaft sehen wir den vierjährigen Alexander*, wie er unbeschwert mit Nachbarkkindern auf der Wiese hinter dem Haus tollt und wie er sich ebenfalls freut, mit Mama oder Papa zu  spielen oder im Haus mit ihnen zu basteln, diese kindliche Unbeschwertheit hat, die wir direkt für uns nachfühlen können und die dann zum Teil bereits einen kleinen Einschnitt erlebt, wenn der regelmäßige Schulbesuch beginnt. Schließlich ist Alexander inzwischen schon über sechs Jahre. Da ist Britta, inzwischen fünf, die Enkelin von alten Freunden, die gerne bei den Großeltern ist, ab dem Krabbelalter alles Mögliche entdeckt, aber dennoch froh ist, wenn sie die Eltern bei sich hat. So ist es auch beim Enkel Luca, der bei aller Freude und herzhaftem Lachen beim Spiel mit der Oma gerne wieder am Rockzipfel der Mama hängt oder beim Papa auf den Arm will. Meine Generation sieht diese kindliche Unbeschwertheit leibhaftig eher bei den Enkeln; Die schönen Jahre mit den eigenen Kindern sind wie die eigene Kindheit Rückbesinnung.Lang ist's her.



Da gab es zur Kindheit einmal ein Dreirad. Klasse!

Spiel und Freude

„Das war unsere Straße“ oder „unser Hübbel“ sagen wir uns manchmal, wenn wir auf Siegener vom Rosterberg treffen. Wenige leben dort noch, viele sind weggezogen. So manche können wir nicht mehr persönlich sehen, weil sie nun von oben auf unser Wohnviertel schauen. Aber wenn wir diejenigen treffen, die noch am „Hübbel“ wohnen oder zu Besuch da sind, dann sind Kindheit und Jugend Themen. Es geht um die Zeit, als die Straße noch ein großer Spielplatz für Fußball und Federball war, wir Jungen und die Mädchen Kriegel und Verstecken und „Ochs am Berge eins, zwei, drei" spielten, wir mit dem ersten Holzroller und Dreirad gefahren sind, im Sommer auf der Gartenwiese im Zinkwännchen plantschten, uns ein kleines Zelt aus alten Militärplanen bauen konnten und Väter und Mütter bei Bedarf den Überblick behielten, wie die älteren Geschwister. Na klar, dass auch mal ein Kind hinfiel und Trost sowie eines Pflasters bedurfte und dass es auch einmal Gezänk mit Tränen gab, was aber schnell wieder vergessen war. Vor der Schulzeit, vor dem 6. Lebensjahr, gab es keine großartigen Verpflichtungen, außer, dass wir abends vor dem Dunkelwerden wieder „rein“ in die oft kleine aber gemütliche Wohnung mussten, um den Tag mit Abendbrot, ins Bett legen, Vorlesen und Beten zu beenden, egal, ob evangelisch oder katholisch. Was für erfüllte Tage in einem Umfeld, in dem das Einkommen gerade zum Wohnen und Essen reichte und erst nach und nach die Besserungen des „Wirtschaftswunders“ wirksam wurden, das wir von klein auf miterleben konnten!

Schule verändert den Alltag

Mit der Schulzeit gab es kleine Einschnitte: früher aufstehen, pünktlich und vormittags nicht zu Hause sein, Gut, dass die so gute Volksschule, die Diesterwegschule in der Rosterstraße, die zurzeit auch noch besteht, nur ein paar Gehminuten entfernt lag. In manchen anderen Wohngebieten war es ähnlich, manche mussten auch etwas weiter gehen. Die Politik hat inzwischen vieles und öfter verändert, von der Schulart bis zum Schulplatz. Den Lernstoff ebenso. Viel Gutes können so manche und wir diesen Neuerungen oder "Experimenten"  nicht abgewinnen. Wie dem auch sei. In der Klasse oder Parallelklasse waren auch die bekannten Kinder, je nach Geburtsdatum waren andere bereits ein Jahr früher eingeschult. Je nach Alter waren mindestens bis zur 4. oder 5. Klasse auch die älteren Geschwister da. In den ersten Jahren mussten wir meist bis mittags um 12 Uhr durchhalten. Lernen war ebenfalls angesagt - je nach Klasse wurden die Hausaufgaben immer mehr.
Mit dem Schulalltag lernten wir auch andere Kinder kennen, Es bildeten sich neue Bekanntschaften und Freundschaften. Mittags nahmen wir schon einmal einen mehrminütigen Umweg in Kauf, um ein Stück mit einem anderen Schüler oder einer Schülerin zu gehen und über dies und das zu sprechen oder sich für Fußball oder andere gemeinsame Unternehmungen zu verabreden.



Wald war nah, den kannten wir von Spaziergängen. Für uns galt es damals, ihn neu zu entdecken, kleine Abenteuer zu erleben.  

Wir fühlen uns wie Tarzan

Mit zunehmendem Alter entdeckten wir den - wie nahezu überall im Siegerland ganz nahen - Wald völlig neu. Den kannten wir von Sonntagsspaziergängen sowieso. Aber was man mit Wald und Bäumen noch anfangen kann, kam erst später. Erst so 1959, elf, zwölfjährig, durften wir alleine in unser Waldstück, die Ähl. Wir, Bertold, Heinz, Rolf, Wolfgang und teils noch andere, versuchten, Bäume zu erklettern: immer ein Stückchen höher in die große Eiche aufsteigen. „Weiter komme ich nicht“, hörten es die anderen dann von unten, die ihrerseits versuchten, Ast für Ast hoch zu klettern. Um den ersten dicken Hauptast, den Einstieg fürs Klettern, zu erreichen, waren ein Sprung und ein Klimmzug mit kurzer Bauchwelle erforderlich.
Zwar hatten die meisten Haushalte bei uns noch keinen Fernseher, aber es gab so kleine Heftchen wie „Tarzan“ und „Akim“. Die kosteten um die 20 Pfennige zu der noch alten guten D-Mark-Zeit. Die durften wir kaufen, mochte es auch aller späteren Pädagogik zuwider sein. Viele hatten auch Karl-May-Bücher zu Hause.
Es galt nun, das eine und andere daraus auszuprobieren. Zuerst versuchten wir, unseren Aufschwung zum ersten Baum-Ast zu perfektionieren. Das war nach ein paar Mal kein Ding mehr. Lianen gab es im Wald nicht. Aber! Birken sind biegsam. Eine große stand dicht neben der Eiche. Wenn wir ein bisschen auf einem oberen Eichenast zum Ende hinrutschten, konnten wir einen festen Birkenzweig fassen. Sollen wir oder nicht? Gesagt, getan! Ein Mutiger probierte es, und siehe da, er schwebte über das wiesige Gelände und konnte dann erdnah abspringen. Klar, dass es nun auch die anderen versuchten. Nach und nach nutzten wir Äste in verschiedenen Höhen und konnten ein Stück weit schweben, abenteuerlich: „Wir sind Tarzan“! Die Eltern haben es nicht mitbekommen, sonst wäre der Waldbesuch wohl gestrichen worden, passiert ist zum Glück nie etwas.



Wenn ich heute an diesen Ort zurückkomme, an dem unterhalb am Weg eine Bank steht, wo sich ältere Jugendliche abends trafen und gemeinsam zum Klang einer Gitarre fröhlich sangen und Jungen und Mädchen so manchen Abend verbrachten, um ein paar schöne Stunden zu erleben, dann holt mich alle Erinnerung wieder ein, weil gerade dieses Waldstück – neben vielen anderen Stellen in unserem Wohngebiet – einer der wichtigen Orte der Kindheit und frühen Jugend war, der tiefes Erinnern auslöst, das „Damals“ vor dem geistigen Auge lebendig werden lässt und eben für andere und mich ein „Ort der Glückseligkeit“ war und ist.
Nach diesen Erinnerungsausflügen kommt man schnell wieder im Hier und Jetzt an. Aber es mag viele geben, die Freude und Glücksempfinden bei diesen Träumereien haben, die auch den aktuellen Alltag verschönern, weil Glückseligkeit doch einfach nur schön ist.
*Alle Namen wurden geändert.

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